Schreibimpulse

Geschichten erzählen

Paymobil-Männchen in Weihnachtskleidung stehen im verschneiten Wald und prosten sich zu.
Entdecken Sie die Kraft des Geschichtenerzählens und die Freude am Fabulieren und/oder Erinnern! Und vielleicht entsteht so Ihre persönliche Weihnachtsgeschichte?!

Geschichten zu erzählen, hat eine lange Tradition.

Früher saß man abends gerne ums Lagerfeuer und erzählte sich Geschichten. Heute wird das Erzählen von Geschichten großteils dem Fernseher oder Kino überlassen (oder natürlich guten Büchern). Mündliches Erzählen oder gemeinsame Abende mit gegenseitigem Geschichtenerzählen sind aus der Mode gekommen. Schade, denn wir bräuchten sie dringender als je zuvor. Sie wären ein schöner Gegenpart und Ausgleich zur digitalen Welt, könnten ein verbindendes Element sein zwischen Kulturen, Generationen und Geschlechtern.

Nachdem ich mich hier hauptsächlich mit geschriebener Sprache befasse, rege ich Sie natürlich zum Schreiben von Geschichten an. Diese dürfen dann aber ebenfalls gerne erzählt oder vorgelesen werden. Das Teilen niedergeschriebener Geschichten ist deshalb auch ein wichtiger Teil von Schreibseminaren. Jedesmal wieder ist diese Erfahrung beglückend und berührend und es entsteht schnell ein ganz besonderes Gefühl der Verbundenheit.

Schreibmenschen wissen, wie viel Freude es macht, Geschichten zu erfinden. Geschichten können uns zum Lachen bringen oder stecken voller Weisheit. Geschichten vermitteln Lebenserfahrungen, Werte und vieles mehr. Auch das Aufschreiben eigener, also selbst erlebter Geschichten ist sehr wertvoll. Manches (wie Sinn oder roter Faden) zeigt sich erst im Nachhinein oder beim Aufschreiben, wenn die Erfahrung erinnert und erneut durchlebt wird.

Heute gebe ich Ihnen für beide Varianten – fiktive und autobiografische Geschichten – einige Tipps und Impulse.
Nachdem die Weihnachtszeit naht, vielleicht eine gute Gelegenheit, heuer eine selbst geschriebene Weihnachtsgeschichte zu verschenken?

Geschichten erfinden

Fiktive Geschichten zu schreiben, unserer Phantasie freien lauf zu lassen und eine Geschichte zu schreiben, wie sie sich zugetragen haben könnte, ist eine lustvolle Angelegenheit. Ob daraus eine fantastische Erzählung, eine humoristische Kurzgeschichte, ein Märchen, eine Fabel oder sonst etwas wird, ist zweitrangig. Hier können Sie je nach persönlicher Vorliebe entscheiden oder sich einfach treiben lassen während des Schreibens.

Ich greife heute die „Geschichte mit Tiefgang“ auf, eine märchenhafte Erzählung, wie sie auch im mündlichen Erzählen üblich ist. So könnte sie entstehen:

  • Überlegen Sie sich zuerst, welche Werte in Ihrem Leben wichtig sind: Ehrlichkeit, Loyalität, Freundschaft, Liebe, Treue, Toleranz,… (Das sind nur einige spontan gewählte Beispiele, die Aufzählung kann beliebig fortgesetzt werden.)
    Schreiben Sie eine Liste der für Sie persönlich bedeutsamen Werte und nehmen Sie im Anschluss eine Reihung vor.
  • Dann wählen Sie einen Begriff/Wert aus der Liste (es muss nicht unbedingt der erstgereihte sein) und schreiben ein Freewriting* dazu, d.h. Sie schreiben flüssig und ohne (innere) Zensur alles nieder, was Ihnen zu diesem Begriff einfällt.
  • Als nächstes denken Sie darüber nach, wo und wie sich dieser Wert im Alltag zeigt: Wie äußert er sich? Wie leben Menschen, denen dieser Wert wichtig ist? Was bewirkt das? Für wen und wie sind diese Auswirkungen konkret spürbar? Wieder schreiben Sie alles auf, diesmal evt. nur in Stichworten.
  • Nachdem Sie so einige Ideen gesammelt haben, stellen Sie sich eine konkrete Situation/Begebenheit dazu vor: Wo hat vielleicht jemand etwas aus dieser Situation gelernt? Wie? Was waren die Folgen? (z.B. verändertes Verhalten, neue Sichtweisen, etc.) Vielleicht gibt es ja eine reale Erinnerung dazu, es kann aber genauso gut eine erfundene Begebenheit sein.
  • Jetzt geben Sie den handelnden Personen noch Namen, evt. statt konkreten Rufnamen auch nur Archetypen oder Berufsbezeichnungen (z.B. „ein alter König“ oder „eine frisch verheiratete junge Frau“…).
  • Zum Schluss erwachen diese Personen in Ihrer Geschichte zum Leben. Sie erleben am Papier jene Dinge, die Sie sich vorhin ausgedacht haben.

Am Ende der Geschichte sollte eine Erkenntnis, eine „Moral von der Geschicht“ deutlich werden. Diese muss nicht unbedingt ausformuliert sein, sollte außerdem v.a. nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommen. Eher wird sie den Zuhörenden/Lesenden durch den Ausgang der Geschichte bewusst. Jede:r kann seinen eigenen Schluss daraus ziehen.

Damit steht dem Werden Ihrer Geschichte nichts mehr im Wege.
Wer weiß, vielleicht entsteht ja eine Weihnachtsgeschichte, die Sie mit Ihrer heurigen Weihnachtspost verschicken oder nach alter Tradition zum Fest Ihren Lieben erzählen wollen?

In jedem Fall viel Spaß beim Erfinden, Denken, Fabulieren und Formulieren!

Füllfeder auf aufgeschlagenem Tagebuch mit handschriftlichem Text

Autobiografische Geschichte(n) schreiben

Über das eigene Leben zu schreiben bedeutet,
sich die Vergangenheit noch einmal kreativ anzueignen.
Das Erlebte gewinnt neue Gestalt und erscheint in einem veränderten Licht.
(Herrad Schenk)

Wer biografisch schreibt, kann im großen Meer der eigenen Erfahrungen und Erlebnisse fischen, aus dem inneren Fundus schöpfen, Erinnerungen wiederbeleben und in Worte fassen. Und das Zuckerl obendrauf: Je öfter wir das machen, desto größer wird die Sammlung von zu Papier gebrachten Lebensmomenten, die sich wunderbar verschenken und/oder an Kinder und Enkelkinder weitergeben lässt.

Dabei gibt es nichts, was sich nicht zum Aufschreiben eignen würde. Nichts ist zu klein oder zu unbedeutend oder gar zu „gewöhnlich“. Gerade die alltäglichen Geschichten sind es, in denen sich jede und jeder wiederfindet. Denn Vertrautes berührt besonders leicht unser Herz, ruft Resonanz hervor, lässt uns beim Lesen mitfühlen und mitleben, zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht.

Auch wenn es tausende ähnliche Geschichten gibt, ist dennoch jedes Leben absolut einzigartig. Und damit jede Lebensgeschichte einmalig und besonders.

Wie können Sie nun beginnen und wie Ihre Erinnerungen auffrischen?
Hier einige Übungen dazu:

Das Tor zur Erinnerung öffnen

Gerade beim autobiografischen Schreiben ist es wichtig, Erinnerungen zu wecken. Unterschiedliche Impulse oder Fragen können uns helfen, leichter Zugang zu unseren Erinnerungen zu finden. Da Erinnerungen immer mit Emotionen gekoppelt sind, spielen unsere Sinne eine wichtige Rolle beim Erinnern. Je mehr Sinne angesprochen werden, desto leichter rufen sie Erinnerungen hervor, auch lange zurückliegende. Letztlich helfen alle im Folgenden vorgestellten Übungen, Erinnerungen hervorzukramen oder – in einem späteren Stadium des autobiografischen Schreibens – diese Erinnerungen dann in einen Zusammenhang, eine „Ordnung“ zu bringen.

Gerhild Tieger (2010) hat in ihrem Buch „Anleitung zur Autobiografie“ 300 Fragen zusammengestellt, die das Tor zur Erinnerung öffnen, zum Beispiel diese hier:

  1. Welcher Geruch und Geschmack erinnert Sie an Ihre Kindheit?
  2. Welche Spitznamen hatten Sie und andere Familienmitglieder?
  3. Wie oft sind Sie in Ihrer Kindheit umgezogen? Wohin?
  4. Welche Musik liebten Sie als Jugendliche:r und wie reagieren Sie heute darauf?
  5. Wann sind Sie zum ersten Mal ohne Eltern in die Ferien gefahren? Wohin und mit wem?
  6. Gab es einen Lehrer, den Sie verehrt haben? Und umgekehrt?
  7. Haben Sie ein Geheimnis, von dem niemand etwas erfahren darf?
  8. Hatten Sie ein Lebensmotto, das Sie befolgt haben? Oder mehrere?
„Ich erinnere mich…“

Eine wahre Zauberformel ist der Anfangssatz „Ich erinnere mich…“ – entweder als Start für ein Freewriting* oder als Seriensprint. (Beim Seriensprint wird der gleiche Satzbeginn mehrmals hintereinander jeweils anders fortgeführt.)

Beides führt zu erstaunlichen Ergebnissen und zu wahren Kettenreaktionen. Sobald ein Anfang gesetzt ist, ploppen schnell mehr und mehr Erinnerungen auf. Sie können sich dabei auch auf bestimmte Aspekte fokussieren wie z.B. Kindheit, Schulzeit, Orte, Personen, Gerüche usw. (vgl. zB. Ortheil 2014, S. 92ff)

Listen und assoziative Notizen

Sie können auch klassische Listen nutzen mit bestimmten Vorgaben und dazu Assoziationen notieren, z.B. zu den Themen

  • Gerüche von früher
  • Spiele der Kindheit
  • Wichtige Personen der Kindheit
  • Wichtige Orte meines Lebens
  • Bedeutende Gegenstände
  • Mahlzeiten der Kindheit
  • Alltägliche Erinnerungen aus Kindheit und Jugend (Umzüge, Schulwechsel, Geschwister…)

und viele mehr…

Mit diesen Listen haben Sie Material für viele viele Geschichten: Aus jeder Notiz wird eine Erzählung, die die betreffende Erinnerung in Worte fasst – kurz und bündig oder etwas ausführlicher, ganz wie es Ihnen beliebt.

aufgeschlagenes, leeres Buch mit Bleistift auf einer alten Landkarte, daneben Brille und Lupe

Viele weitere Übungen und Impulse zum autobiografischen Schreiben erhalten Sie (samt einer wunderbaren Gemeinschaft von Schreibenden und Zuhörenden) in unseren Seminarenkurz, kürzer, am kürzesten“ und „Geschichten, die das Leben schreibt„.

Welche Geschichten auch immer Sie schreiben, erfundene oder wahre:
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Schreiben und eine gute (Vorweihnachts-)Zeit voller wärmender Geschichten

Ihre
Alexandra Peischer

Quellen und weiterführende Links:

  • Ortheil, Hanns-Josef: Schreiben über mich selbst. Spielformen des autobiografischen Schreibens. Berlin (Duden) 2014
  • Peischer, Alexandra: Perlentauchen oder die Nützlichkeit des Schreibens über die kleinen Dinge. In: SchreibRäume. Magazin für Journal Writing, Tagebuch & Memoir, Heft 2/2023, S. 31-35
  • Schenk, Herrad: Die Heilkraft des Schreibens. Wie man vom eigenen Leben erzählt. München (C.H.Beck) 2009
  • Tieger, Gerhild: Anleitung zur Autobiografie in 300 Fragen. Berlin (Autorenhaus) 2010
  • www.erzaehlkunst.com
  • www.erzaehlen.de

* Der Begriff „Freewriting“ wurde in den 70er-Jahren von Peter Elbow (USA) geprägt. Freewriting ist eine der besten Methoden, um Schreibwiderstände zu lösen und den Schreibfluss zu fördern. Es ist ein innerer Dialog mit sich selbst, freie Assoziation, eine Art automatisches Schreiben – ohne Anspruch auf einen perfekten Text!
So geht’s: Stift nehmen und drauflos schreiben. Nicht zurückschauen und nicht auf Grammatik und Rechtschreibung achten. Alles ist erlaubt, solange die schreibende Hand in Bewegung bleibt!

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