Persönliche Schreiberfahrungen und ihre Auswirkung
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber viele Menschen haben schlechte Erfahrungen mit dem Schreiben. Oftmals sind es sehr strenge oder leistungsorientere Lehrer:innen oder Eltern, für die Rechtschreibung oder gute Noten wichtiger waren als Kreativität und Freude am Experimentieren und Lernen. Später kommen dann häufig negative Erlebnisse auf der Uni oder in der Ausbildung dazu, wenig oder einseitiges Feedback, kaum Möglichkeit für Austausch oder Unterstützung sowie pauschales Feedback, das nicht auf Stärken eingeht, sondern hauptsächlich Fehler und Schwächen sieht.
All das beeinflusst unser Schreiben auch Jahre später noch. Vielfach führen negative Schreiberfahrungen oder unsensibles Feedback zu Schreibblockaden, die ein Leben lang anhalten.
Unendlich schade, weil damit jede Freude am Schreiben verlorengeht, jede kreative Idee und jeder Wunsch sich auszudrücken im Keim erstickt wird. Schreibfrust und Blockaden sind vorprogrammiert.

Zusätzlich kennen wir alle die kritischen, selbstzweifelnden inneren Stimmen – auch jene Menschen, die gute Erfahrungen gemacht haben und dem Schreiben gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt sind. Meist nennen wir diese Stimmen die „inneren Kritiker:innen“, manche Schreibende finden kreative Namen dafür.
Anne Lamott (1995) z.B. nennt diese Stimmen die „inneren Dämonen“ und meint damit alle persönlichen Schwierigkeiten, Ängste, Zweifel und negativen Gedanken in Bezug auf Schreiben oder andere (kreative) Tätigkeiten. Wenn es uns gelingt, diesen Stimmen mit Humor und Mitgefühl zu begegnen, erleichtern wir uns unseren Alltag. Und manchmal ensteht sogar ein richtig gutes Verhältnis zu ihnen. Sie können sich gar zu freundlichen Begleiter:innen im Schreibprozess entwickeln.
Lamott rät dazu,
- den Perfektionismus loszulassen,
- sich kleine, erreichbare Ziele zu setzen („bird by bird“) und
- sich selbst zu erlauben, schlechte erste Entwürfe („shitty first drafts“) zu schreiben. Das nimmt den Druck und entwaffnet die inneren Kritiker. Nur so entstehen nach und nach „good second drafts“ und „terrific third drafts“. (Lamott 1995, S. 21ff)
„Schreiben im Affenhaus“ (Moser 2025, S. 20)
Milena Moser (2025) spricht in ihrem vor kurzem erschienenen Buch „Schreiben. Eine Ermutigung“ von den „Affenstimmen“ – angelehnt an den Begriff „monkey mind“, den die Buddhisten als Bild für unseren sprunghaften, ständig beschäftigten Geist verwenden. Als Moser diesen Begriff kennenlernt, entlarvt sie die eigenen kritischen Stimmen als „Affen“, die in ihrem „Affengeist“ fröhlich herumspringen und ihr alles mögliche einreden wollen. Am allermeisten, dass sie nicht gut genug sei (um zu schreiben, …
Anstatt sich mit ihnen zu identifizieren, hat die Schriftstellerin gelernt, konstruktiv mit ihnen umzugehen. Denn los werden wir Schreibenden diese Affen ohnehin nicht, meint Moser, sie gehören zum kreativen Prozess. Was wir aber tun können: uns an sie gewöhnen, sie richtig einordnen, mit ihnen leben.

Was hilft?
Sowohl Anne Lamott als auch Milena Moser sind sich einig und ich schließe mich hier voll und ganz an: Sich bewusst mit diesen Stimmen auseinanderzusetzen, ist der beste Weg, um sich nicht von ihnen stoppen oder krank machen zu lassen! Auch eine Reflexion der eigenen Schreiberfahrungen hilft dabei, denn allzu oft haben diese inneren Anteile auch reale Vorbilder aus unserer Lebensgeschichte. Und zudem lässt sich alles, was wir einmal bewusst wahrnehmen, leichter verändern.
Hier kommen einige Schreibimpulse dazu.
Meine Schreibgeschichte
Nehmen Sie sich Papier und Stift und gehen Sie schriftlich folgenden Fragen nach (eventuell auch jeden Tag einem Aspekt davon):
- Wie habe ich schreiben gelernt? Hat es mir Spaß gemacht? Welche waren meine ersten Buchstaben?
- Welche Erinnerung habe ich an meine Volksschul-Zeit, an die Lehrerin/den Lehrer? (Für diese Fragen ist es hilfreich und außerdem ein besonderes Erlebnis, wenn Sie für ein paar Minuten mit der schreibungewohnten Hand schreiben. Das verlangsamt und öffnet sehr schnell bisher verborgene Erinnerungskanäle!)
- Woran kann ich mich sonst noch erinnern in Bezug auf Schreiben?
- Wie war das zum Beispiel in den weiterführenden Schulen (Hauptschule, Gymnasium), in meiner Studien- oder Ausbildungszeit? Hat mich jemand beim Schreiben unterstützt und motiviert oder ist eher das Gegenteil passiert?
- Welche Erfahrungen habe ich beim Schreiben in meinem beruflichen Umfeld gemacht? Gibt es einen Unterschied für mich, wenn ich privat oder beruflich schreibe?
- Wie sehr sind Rahmenbedingungen wichtig: Gelingt das Schreiben leichter, wenn ich eine bestimmte Umgebung dafür habe oder eine besondere Tageszeit dafür nutzen kann?
- Welche Feedback-Erfahrungen auf Texte fallen mir ein?
- Wann habe ich positive Reaktionen auf meine Texte bekommen? Was daran war hilfreich für mein weiteres Schreiben?
- Habe ich auch negative Reaktionen erlebt? Wie habe ich spontan darauf reagiert und welche Auswirkungen gab es vielleicht später noch?
- Wie geht es mir jetzt im Moment mit meinem Schreiben? Bin ich zufrieden mit meiner Schreibkompetenz? Möchte ich sie weiter entwickeln und ausbauen? Wenn ja, was brauche ich dafür?
Am Schluss können Sie all das noch einmal lesen und überlegen, wie sehr diese Erfahrungen Sie heute noch beim Schreiben beeinflussen, behindern oder beflügeln. Wie gehen Sie damit um und wie/wodurch könnte sich – bei Bedarf – etwas verändern?

Die inneren kritischen Stimmen bändigen (Moser 2005, S. 23)
Diese Übung gibt Milena Moser als ersten Schritt mit auf den Weg. Ich gebe sie gekürzt hier wieder:
Sie nehmen Stift und Papier oder Ihren Laptop und beginnen mit einem Text, einem Schreibprojekt. Vermutlich werden sich bald schon die ersten kritischen Stimmen melden. Immer dann, wenn so eine Stimme sich meldet, hören Sie ganz genau hin und schreiben auf, was Sie hören.
Moser (2005, S. 23) schreibt:
„Nimm das Diktat auf. Schreib alles auf, was die Affen in deinem Kopf so behaupten. Auch wenns unangenehm ist: Schreib, bis alles dokumentiert ist. Jeder einzelne fiese Vorwurf.“
Als Bonus-Übung lädt sie noch dazu ein, das Geschriebene im Anschluss auszudrucken (bzw. die betreffenden Seiten herauszureißen aus dem Notizbuch), daraus Papierflieger zu falten und diese irgendwo aus einem Dachfenster, von einer Terasse oder einfach so in die Luft zu werfen. Viel Spaß dabei!

Dialog mit meinen inneren Kritiker:innen
Bei mir klingen diese Stimmen oft so: „Was machst du da eigentlich? Was denkst du dir dabei? Das ist doch alles uninteressant. Und außerdem schon hundertmal geschrieben. Vermutlich sogar besser als du es je können wirst…“
So geht das weiter, wenn ich nicht irgendwann den Stimmen Einhalt gebiete. Ich sage dann gern einfach „Ruhe da oben“ (die sitzen ja meist im Kopf) oder „Hört mal auf, ihr Störenfriede. Ich will jetzt erstmal drauflosschreiben und da kann ich euch grad gar nicht gebrauchen. Später, wenn ich überarbeite, könnt ihr gerne wiederkommen und mir helfen, am Text zu feilen. Aber jetzt habt ihr Pause.“ Oder so ähnlich…
Hier eine kleine Übung, die Sie prophylaktisch machen können oder aber in einer konkreten Situation, wenn eine kritische innere Stimme gerade mal wieder den Schreibfluss penetrant stört.
Nehmen Sie sich ein Blatt Papier (neben dem, was Sie gerade sowieso schreiben) und nehmen Sie das Gespräch mit ihr auf. Schreiben Sie einen Dialog: Sie als Oberhaupt und Chef:in sprechen mit Ihren inneren Stimmen/Anteilen. Sagen Sie ihnen ruhig mal die Meinung, weisen Sie sie in ihre Schranken. Sie können Sie auch in den Urlaub oder in Pension schicken. Oder Sie fragen, was die Stimmen brauchen, um Sie in Ruhe schreiben zu lassen, zumindest in dieser ersten Phase des Rohtextes.
Diesen Dialog können Sie jederzeit führen und immer wieder wiederholen. Auch ein Brief an eine dieser Stimmen kann hilfreich sein. Oder eine Einladung in den Urlaub… Seien Sie kreativ!

Wünsche für mein Schreiben
Als abschließenden Impuls schlage ich Ihnen noch ein Freewriting vor zum Anfangssatz: „Für mein Schreiben wünsche ich mir…“
Schreiben Sie einige Minuten schnell drauflos und formulieren Sie dann einen Kernsatz. Vielleicht hängen Sie diesen über Ihren Schreibtisch, sodass er Sie beim täglichen Schreiben begleitet?
Ich bin mir sicher, er wird Wirkung zeigen!
Alles Gute für Sie und Ihr Schreiben
wünscht
Alexandra Peischer / schreib.raum
Literatur
- Anne Lamott (1995): Bird by bird. Some instructions on writing and life. New York (Anchor Books).
Deutsche Übersetzung: Anne Lamott (2004: Bird by bird – Wort für Wort. Anleitung zum Schreiben und Lesen als Schriftsteller. Berlin (Autorenhaus)
- Milena Moser (2025): Schreiben. Eine Ermutigung. Zürich/Berlin, Kein & Aber
Ein insgesamt sehr inspirierendes und mutmachendes Buch für alle, die schreiben wollen – egal was. Die Autorin erzählt darin in ihrem ganz eigenen Humor auch sehr offen von ihrem langen Weg als Schriftstellerin, von Ängsten und Zweifeln, vom Hadern und dennoch Dranbleiben. Dazwischen gibt sie jede Menge Tipps und viele Übungen für alle Phasen des Schreibprozesses. Ihr Fazit: „Wenn du schreiben willst, dann kannst du das auch.“ (S. 237)
Absolute Leseempfehlung!
